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Christoph Gipp and Philipp Rode
DYNAMISCHE RÄUME Die Nutzungsflexibilisierung urbaner Mobilitätsräume
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| KONTAKT
Philipp Rode
Christoph Gipp
| BETREUUNG
Prof. Dr. G. Wolfgang Heinze Technische Universität Berlin
Boris Kluge Technische Universität Berlin
Thomas Fabian Technische Universität Berlin
| FREUNDLICHE UNTERSTÜZUNG
Michael O´Connor
Inc., NYC
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EINLEITUNG Zwei Elemente von Stadt bestimmen im Wesentlichen deren Aufbau. Es handelt sich dabei einerseits um räumliche Quellen und Ziele ihrer Bewohner und Besucher und andererseits um jene Elemente, die der Überwindung des dazwischenliegenden Raumes dienen. Letztere stellen zu einem überproportional hohen Anteil das Angebot von öffentlichem Raum im städtischen Kontext dar. Sie sichern die Beweglichkeit von Menschen und Waren im Raum und müssen daher für jedermann zugänglich sein. Diese ‚Mobilitätsräume’ – der Begriff bezeichnet Räume, deren überwiegende Nutzung der Mobilität dient – sind demnach Kernbereiche gesellschaftlichen Allgemeinguts und ihre Organisation verlangt ein hohes Maß an sozialer, ökonomischer und ökologischer Sensibilität. Die Abwägung unterschiedlicher Nutzungsansprüche verlangt einen schwierigen politischen Entscheidungsprozess. Bereits bei einer ausschließlichen Betrachtung der originären Aufgabe dieser Räume, der Mobilitätssicherung, bedingen unterschiedliche Mobilitätsalternativen, ob motorisiert oder unmotorisiert bzw. öffentlich oder privat, ein erhebliches Konfliktpotential. Um ein Vielfaches komplexer gestalten sich Nutzungskonflikte, wenn sich der eingangs angesprochene Dualismus städtischer Elemente auflöst und Mobilitätsräume als Aufenthalträume dienen, also mit Quell- und Zielfunktionen belegt werden. Die Konsequenz der klassischen Forderung ‚Straße als Lebensraum’ hat dieses Konfliktpotential vielerorts anschaulich verdeutlicht. In der Regel stehen sich die Ansprüche der Raumüberwindung auf der einen und die der Aufenthaltsqualität auf der anderen Seite im urbanen Zusammenhang gegenüber. Die vorliegende Arbeit ‚Dynamische Räume – Die Nutzungsflexibilisierung urbaner Mobilitätsräume am Beispiel der Berliner Innenstadt’ stellt sich der Herausforderung, Mobilitätsräume als vielfältig nutzbare Stadtstrukturen zu betrachten und hinsichtlich der einzelnen Nutzungsarten zu analysieren. Unter ‚Nutzungsflexibilisierung’ werden Konzepte zusammengefasst, die eine vielfältige Nutzung dieser Räume fördern. ‚Urbaner Mobilitätsraum’ bezeichnet zwar grundsätzlich ‚städtischen Verkehrsraum’, im Rahmen dieser Arbeit aber ausschließlich ‚städtischen Straßenraum’. Durch die Verwendung des Begriffs ‚Mobilität’ anstelle von ‚Verkehr’ wird eine Betrachtung des Gesamtphänomens der Raumüberwindung betont. Der Begriff ‚Dynamische Räume’ (DYNR) im Titel dieser Arbeit wird durch zwei unterschiedliche Eigenschaften bestimmt: Zum einen handelt es sich hierbei um Räume, die durch die Präsenz beweglicher Elemente, d.h. durch Fortbewegungsprozesse, charakterisiert werden. Die zweite Eigenschaft kommt durch die Variation von Nutzungen innerhalb einer bestimmten Zeit zum Ausdruck. Der Raum selbst ist einer Veränderung seiner Erscheinung und Nutzung unterworfen. Beide Eigenschaften stehen im Gegensatz zu den sonst üblichen statischen Eigenschaften eines Raumes. Diese Arbeit beschränkt sich dabei auf die Frage, wie sich eine Nutzungsflexibilisierung und Nutzungsmischung dynamischer Räume ausschließlich durch zeitliche Regelungen planen lässt. Nicht berücksichtigt werden also Konzepte zu statischer Mehrfachnutzung von Räumen, wie beispielsweise ‚Spielstraßen’. Die Dimension der ‚Zeit’ wird bei der Organisation dynamischer Räume gezielt zur Nutzungsflexibilisierung eingesetzt, um mehr ‚Raum’ für unterschiedliche Nutzungsarten zu schaffen. Konzeptprägend ist die systemtheoretische Erkenntnis einer stetigen Veränderung dynamischer Systeme, die den folgenden Planungsgrundsatz vorgibt: Die Qualität einer Planung erhöht sich mit dem Grad ihrer Veränderbarkeit. Zeitlich differenzierte Nutzungsregelungen haben den Vorteil, den vorhandenen Raum gerechter auf die verschiedenen Nutzungen zu verteilen, da nicht nur eine, sondern zwei beschränkte Ressourcen, Raum und Zeit, aufgeteilt werden können. Dies ist dann von Vorteil, wenn einzelne Nutzungen gar nicht möglich sind, so lange eine andere zur selben Zeit stattfindet. Der wesentliche Nachteil zeitlicher Regelungen besteht darin, dass eine bestimmte Nutzung nur noch zu einer festgelegten Zeit möglich ist. Die Abwägung dieser Vor- und Nachteile wird in der Arbeit ebenso berücksichtigt, wie die Anwendungsgrenzen einer zeitlichen Nutzungsflexibilisierung. Neue Chancen für eine flexiblere Straßenraumnutzung werden im Zusammenhang mit der Verbreitung von Technologien des Verkehrssystemmanagements gesehen. Der Anspruch einer Nutzungsflexibilisierung vorhandener Räume als effiziente Raumnutzung leitet sich sowohl aus den Paradigmen der Nachhaltigkeit (Agenda 21) und aus der Zukunftsfähigkeit der Raumnutzung ab (Habitat II) also auch aus dem Leitbild der ‚Urbanität’. Letzterer Grundsatz ist ein weitreichender Anspruch zahlreicher Großstädte, der zunehmend zur Planungsmaxime definiert wird. Eine hohe Intensität der Nutzung städtischer Strukturen wie auch die Anordnung und Gestaltung des öffentlichen Raumes sollen dazu beitragen, die gewünschte Vielfalt und Vitalität städtischen Lebens herbeizuführen. In verkehrsplanerischer Hinsicht folgt diese Arbeit der Forderung der ‚Berliner Erklärung zur Zukunft der Städte’ (Urban 21) . Nach ihr sollten Städte „die Nutzung privater Kraftfahrzeuge stärker beeinflussen und die Nutzung umweltfreundlicher Verkehrsmittel unterstützten“ [BMVBW, 2000b, S. 93]. Prägendes Moment der Arbeit ist eine Beschränkung der Problemanalyse und der darauf aufbauenden Lösungskonzeption auf die Ressourcen ‚Raum’ und ‚Zeit’. Weitere zentrale Fragen der Nachhaltigkeit, insbesondere der Quellen- und Senkenproblematik des Energieverbrauchs oder der Lärmemissionen, finden in dieser Arbeit keine Berücksichtigung. Damit ergibt sich für die Konfliktanalyse eine Unabhängigkeit von diesbezüglichen technologischen Fortschritten, die im Bereich des motorisierten Verkehrs von entscheidender Bedeutung sind. Die hier aufzuzeigenden Konflikte sind daher grundsätzlicher an die jeweilige Systemeigenschaft verschiedener Raumnutzungsformen geknüpft und lassen sich nur in Ausnahmefällen ohne eine Änderung dieser Systemeigenschaft reduzieren. Am Beispiel der Nutzung des privaten Pkw lässt sich die Beschränkung auf räumliche Eigenschaften einfach darstellen. Der Flächenverbrauch dieser Fortbewegungsart kann nur unwesentlich reduziert werden, ohne eine neue Form der Automobilnutzung, wie beispielsweise CarSharing, einzuführen. Auch die Flächeneinsparung durch die Erhöhung des Besetzungsgrades greift direkt in die Systemeigenschaften des motorisierten Individualverkehrs (MIV) ein. Die obere Grenze der Raumeffizienz des MIV wird durch das Kompaktauto ‚Smart’ repräsentiert. Die Arbeit wählt die Berliner Innenstadt als Referenzraum der Analyse dynamischer Räume. Ausschlaggebend dafür sind neben den dort stark ausgeprägten urbanen Stadtstrukturen vor allem die vorhandenen verkehrsplanerischen und verkehrspolitischen Gegebenheiten. Eine überdurchschnittlich gute ÖPNV-Erschließung steht großzügig angelegten Straßenräumen gegenüber. Die Gewährleistung einer städtischen Lebensqualität in diesem hoch verdichteten Raum führt unter anderem zu dem verkehrspolitischen Ziel, den Anteil der Wege mit dem öffentlichen und unmotorisierten Verkehr zu erhöhen [vgl. SENATSVERWALTUNG FÜR VERKEHR UND BETRIEBE, 1995, S. L6]. Die Verwirklichung dieses Ziels, vorausgesetzt die absolute Anzahl der Wege bleibt unverändert, würde die Rückgewinnung von städtischen Verkehrsflächen für eine Vielzahl alternativer Nutzungsformen zur Folge haben. Die ungewollte gegenwärtige Zunahme des MIV, die im Wesentlichen von der Attraktivität der Nutzung des privaten Pkw abhängig ist, lässt sich durch ein überproportionales Flächenangebot vor allem für den fließenden Individualverkehr erklären [vgl. HEINZE/KILL, 1992, S. 124]. Strategien zur Erhöhung der Modal-Split Anteile von unmotorisiertem und öffentlichem Verkehr müssen sich zwangsläufig mit Nutzungsalternativen für vorhandene Mobilitätsräume des Autoverkehrs beschäftigen. Je fassbarer, attraktiver und nachvollziehbarer diese Nutzungsalternativen insbesondere für Autofahrer sind, umso besser ist die Chance der politischen Umsetzbarkeit. Die Verringerung der Kapazität des MIV als Maßnahme des Verzichts ohne eine echte Nutzungsalternative wird als bloße Aggression empfunden und ist daher politisch chancenlos. Die Chance für Berlin mit vergleichsweise großzügigem Angebot an Verkehrsflächen muss darin liegen, im Rahmen eines sich verändernden Modal-Splits gleichzeitig eine Wahrnehmungsänderung des Straßenraumes zu ermöglichen. Damit würde sich Berlin positiv unterscheiden von zahlreichen dichteren Städten, wie beispielsweise London, Paris oder New York. Diese Städte weisen zwar ein günstigeres Verhältnis von öffentlichem Verkehr (ÖV) zu MIV auf, dies ist in ihren Straßenräumen allerdings nicht erlebbar. Die Forderungen nach einer Nutzungsflexibilisierung von Straßenräumen nehmen in Berlin zu. In den Sommermonaten finden nahezu jedes Wochenende größere Straßenfeste, Paraden oder Demonstrationen statt. Der Organisator der Berliner Blade-Night, die europaweit größte Skate-Parade, die im Wochenrhythmus als Demonstration über abgesperrte Straßen führt, fordert mit ihrer vorübergehenden Einstellung für das Jahr 2001 eine allgemeine gesetzliche Regelung der Skate-Aktivitäten im Straßenraum. Die Diskussion um die Einrichtung einer Fußgängerzone am Hackeschen Markt als Bestandteil eines Verkehrskonzeptes für die Spandauer Vorstadt stehen exemplarisch für die Potentiale einer Nutzungsflexibilisierungen von Straßen innerhalb von Ausgeh-, Kunst- und Einkaufsvierteln. Weiterhin zu berücksichtigende Nutzungsangebote reichen von temporären Spiel- und Sportstraßen bis hin zu Flanier- und Wirtschaftsstraßen. Bewusst wird diese Arbeit ausschließlich als Impulsgeber für Überlegungen zur Umsetzung von dynamischen Räumen verstanden und nicht als fertiges Konzept, das für einen Untersuchungsraum ausgearbeitet wird. Mit der Beschränkung auf theoretische Grundlagen einer zeitlichen Nutzungsflexibilisierung, der Entwicklung eines Planungsablaufes sowie einer exemplarischen Analyse eines dynamischen Raumes endet diese Arbeit an dem Punkt, an dem für eine konkrete Konzeptentwicklung ein Bürgerbeteiligungsverfahren unumgänglich wird.
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[1] The Agenda 21 was introduced at the United Nations Conference on Environment and Development (UNCED) in Rio de Janeiro 1992 [vgl. Deutscher Bundestag, 1997]. [2] Habitat II is the United Nations Conference on Human Settlement (UNCHS) in Istanbul 1996 [vgl. UNDP, 28.07.2001, Internet]. [3] Urban 21 is the Global Conference on the Future of the Cities in Berlin, 4. – 6. Juli 2000.
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